Pressetext „En Tierra“

(Von Reinhard Köchl)

Heimat: Der Terminus hat Konjunktur. Seit geraumer Zeit taucht er regelmäßig in Medien, Werbung und Politik auf. Völkisch-chauvinistische Zeitgenossen benutzen das Wort zur Abwehr gegen alles Moderne und „Fremde“. In der Unbestimmtheit des Begriffes zeigt sich dessen emotionale Seite. Mal ist Heimat da, wo das Herz gerade schlägt, mal da, wo das eigene Haus steht, mal ist es ein Mensch oder eine Erinnerung.

Für Blanca Núñez Ruiz gibt es vor allem eine Heimat: die Musik. „Sie ist das Zuhause, das mich nie im Stich gelassen hat“, betont die 38-jährige Sängerin, Komponistin, Multiinstrumentalistin und Liedermacherin. „Weder als ich ausschließlich Musik konsumiert habe, noch als ich mit 15 Jahren anfing, selbst Stücke zu schreiben. Songs sind Koffer. Aufblasbare Schlösser oder aufklappbare Strandzelte. Sie sind unsichtbare, portable Orte, die uns innerhalb weniger Minuten tief vergrabene Dinge vor Augen führen und daran erinnern, dass wir alle im Kern gleich sind.“ Geografisch kommt der Begriff bei ihr sogar zwei Mal vor: Zum einen in Gestalt der spanischen Hauptstadt Madrid, wo Blanca Núñez geboren wurde, und zum anderen Deutschland, wo sie seit 17 Jahren lebt. Eine Reise von der klassischen Musikausbildung, Kunststudium und Popband in Valencia über das Kellnern in Barcelona, Oviedo, Freiburg und Berlin, bis hin zum Start des Freiberufs als Musikerin und zum Jazz-Gesangsstudium in Köln.

„Ich kam 2003 nach Deutschland und sprach kein Wort Deutsch. Ich habe alles zurückgelassen: Familie, Beziehungen, Kunststudium, Freunde, alle bekannten Orte, alle erträumten Pfade. Als mein Flugzeug an diesem Sommermorgen vor so langer Zeit abhob, konnte ich sehen, wie schnell die Welt unter mir so klein wurde. Ich sah, wie mein ganzes Leben auf das winzige, braune Stück Boden reduziert wurde, das ich für das Unbekannte verließ. Zehn Jahre lang war ich nicht in der Lage, einen Song über diesen Moment zu schreiben. Er war zu schmerzlich. Doch als mein Bruder und seine Familie 2013 ebenfalls nach Deutschland zogen, erinnerte mich das an diesen Augenblick im Flugzeug. Die Erinnerung berührte mich so, dass ich begann, einen Song mit dem Titel „En Tierra“ (An Land) zu schreiben.“

Das Foto eines kleinen Flugzeugfensters, durch das die Sonne wie ein glühender Streifen in mehreren Farbabstufungen am Horizont zu sehen ist, ziert deshalb auch „En Tierra“, das brandneue Album von Blanca Núñez. Sozusagen ein persönliches Lebensabschnittswerk in Quintettbesetzung mit Julian Bossert (Klarinette, Querflöte, Altsaxofon), Norman Peplow (Klavier, Keys, Arrangement), Jakob Kühnemann (Kontrabass, Gitarre) und Alfonso Garrido (Percussion, Drums), bei dem auch der Gitarrist Bruno Müller als Gast mitwirkt. Die musikalische Standortbestimmung einer faszinierenden Vokalistin, deren jahrelange Reise der kulturellen Integration sich in jedem der zwölf Songs widerspiegelt.

Blanca Núñez singt dabei in ihrer Muttersprache auf einem fruchtbaren instrumentalen Boden, den ihr eine erlesene Runde von virtuosen Könnern mit den Ingredienzien der Klassik, der Beatles, der spanisch-keltischen Folkloren und vor allem des Jazz bereitet. Mit ihrer klaren, ausdrucksstarken Stimme baut sie lyrisch-eklektische Räume, in denen sich ihre Gefühlswelt und die Sensibilität ihrer Mitspieler zu einem gemeinsamen Strom verbinden. Dabei verarbeitet sie ihren Weg, die Essenz des Lebens, das Miteinander. „´Ein neuer Anfang ist ein Geschenk`, singe ich in ´Adelante`, und so ist es seit 2003 für mich immer gewesen: Eine neue Sprache, neue Chancen, neue Leute, neue Musik und neue Familien“, stellt Blanca Núñez fest.

Man sollte „En Tierra“ nicht gleich wieder in irgendwelche Schubladen stecken. Für die charismatische Spanierin geht es darum, das Lebenstempo herunterzufahren, ein Album einmal wieder „ganz altmodisch“ von vorne bis hinten anzuhören, in sich selbst und auf den Nachhall zu lauschen. Bei Blanca Núñez ist jeder Song eine neue Landschaft; bunt, vielschichtig, mitreißend, virtuos und voller Gefühl. Es sind Geschichten als Puzzleteile im Universum der menschlichen Innenarchitektur. Oder musikalische Dialoge zwischen Freunden, die genau wissen, wie sich die Feinheiten dieser Landschaften anfühlen. „Es geht um das Leben, darum, etwas zu überwinden, um Schmerz, Stärke, Liebe und all die Dinge, die uns mit dem Leben und miteinander verbinden. Und es geht darum, Grenzen jeder Art niederzureißen!“ Dazu leistet sie schon jetzt einen immens wichtigen Beitrag.


(ENGLISH)

Home: The term has become fashionable. It has been used regularly in media, advertising and politics for some time. Nationalist-chauvinist contemporaries use the word to fight against the modern world and “strangers.” The vagueness of the term reveals its emotional side. Sometimes home is where your heart is, sometimes where your own house is, and sometimes it’s a person or a memory.

Blanca Núñez Ruiz has above all one home: music. “It is the home that has never let me down,” the 38-year-old singer, composer, multi-instrumentalist and songwriter emphasized. “Neither when I only consumed music, nor when I started composing songs myself at the age of 15. Songs are suitcases. Inflatable castles or foldable beach tents. They are invisible, portable places that show us deeply buried things within minutes and remind us that we are all basically the same.” Geographically, the term even occurs twice: on the one hand in the form of the Spanish capital Madrid, where Blanca Núñez was born, and on the other hand Germany, where she has lived for 17 years. A journey from classical music education, art studies and a pop band in Valencia to waitressing in Barcelona, Oviedo, Freiburg and Berlin, all the way to the start of her freelance career as a musician and jazz voice lessons in Cologne.

“I came to Germany in 2003 and didn’t speak a word of German. I left everything behind: family, relationships, art studies, friends, all known places, all imagined future paths. When my plane took off that summer morning so long ago, I could see how quickly the world beneath me became so small. I saw my whole life reduced to the tiny brown piece of earth that I left for the unknown. For 10 years, I wasn’t been able to write a song about that moment. It was too painful. But when my brother and his family also moved to Germany in 2013, it reminded me of this moment on the plane. The memory touched me so much that I started writing a song called En Tierra (Onshore).”

The photo of a small airplane window, through which the sun can be seen like a glowing strip in several shades on the horizon, therefore also adorns “En Tierra”, the brand new album by Blanca Núñez. A personal work recorded as a quintet with Julian Bossert (clarinet, flute, alto saxophone), Norman Peplow (piano, keys, arrangement), Jakob Kühnemann (double bass, guitar) and Alfonso Garrido (percussion, drums) as well as with the guest participation of guitarist Bruno Müller. The definition of the place in music of a fascinating vocalist, whose journey of many years of cultural integration is reflected in each of the twelve songs.

Blanca Núñez sings in her native language on a fertile instrumental base, prepared by a select group of virtuoso experts with the ingredients of classical music, the Beatles, Spanish-Celtic folklore and, above all, jazz. With her clear, expressive voice, she builds lyric-electric spaces, in which her emotional world and the sensitivity of her fellow players combine to form a common flow. In doing so, she works through her life’s journey, the essence of life, coexistence. “I sing in Adelante that ‘A new beginning is a gift’, and it has always been like this for me since 2003: a new language, new opportunities, new people, new music and new families,” Blanca Núñez observed.

You shouldn’t put “En Tierra” in any pigeonhole. For the charismatic Spaniard, it’s about slowing down the pace of life, listening to an album again in a “very old-fashioned way” from the beginning to the end, listening to yourself and the effects produced. With Blanca Núñez, every song is a new landscape; colorful, multi-layered, stirring, brilliant and full of emotion. They are stories as puzzle pieces in the universe of human interior design. Or musical dialogs between friends who know exactly how the subtleties of these landscapes feel. “It’s about life, about overcoming something, about pain, strength, love, and all the things that connect us to life and to each other. And it’s about tearing down boundaries of all kinds!” It is already making an immensely important contribution to this.

Deja una respuesta

Tu dirección de correo electrónico no será publicada. Los campos obligatorios están marcados con *